Gastbeitrag von Julia Heuberger

Täglich begegnen wir neuen Menschen, sei es auf der Arbeit, im Urlaub oder bei einem Stadtbummel. Wir sind von ihnen umgeben und stehen mit ihnen in Kontakt.
Dabei ertappe ich mich nicht selten dabei, wie ich darüber ins Staunen gerate, wie stark sich die gleiche Spezies doch hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbildes und in Blick auf die Persönlichkeit, die jeden Menschen ausmacht, unterscheiden kann.

Natürlich sind wir alle einzigartig, dennoch gibt es Parallelen innerhalb der Generationen. Somit wird bereits im Mutterleib festgelegt, welche Haarfarbe wir einmal haben werden, welche Eigenschaften uns besonders auszeichnen oder wie anfällig wir für bestimmte Krankheiten sein werden.
Auch wenn wir mit bestimmten Genen geboren werden, heißt das lange noch nicht, dass unser Leben vorgezeichnet ist. Anstatt des stillen Beobachters sind wir die Protagonisten unseres Lebens, denn die Wirkung der Gene liegt zu große Teilen in unseren Händen. Erklären lässt sich das mit der Epigenetik.

Epigenetik-das Bindeglied zwischen Genen und Umwelteinflüssen
Während Genetik sich als die Weitergabe von genetischen Merkmalen von Generation zu Generation definiert und über Millionen von Jahren wirkt, ist die Epigenetik für die Veränderung von Organismen innerhalb einer Generation verantwortlich. So kann es sein, dass bei eineiigen Zwillingen, die genetisch identisch sind, epigenetische Mechanismen, die durch Umwelteinflüsse aber auch den individuellen Lebensstil verändert werden, dazu beitragen, dass nur ein Zwilling z.B. eine höhere Anfälligkeit für einen bestimmte Krankheit entwickelt.
Das Zusammenspiel zwischen Erbgut und epigenetischer Information lässt sich bildlich auch folgendermaßen erklären: Die DNA stellt die Klaviatur eines Pianos dar, die Gene die Tasten und die Epigenetik entscheidet welche Tasten wann und wie gespielt werden. Sie bestimmt, unter welchen Umständen welches Gen aktiviert und wann es wieder ausgeschaltet wird. Doch wie genau funktioniert dieser „Schalter“ der DNA?

Wie wir Einfluss auf unsere Gene nehmen können:
Ernährung, unser Verhalten aber auch psychische Faktoren wie Stress sind alles Risikofaktoren, die zu einer sogenannten Methylierung der DNA führen können. Konkret kommt es dabei zu einer chemischen Modifizierung bzw. Veränderung der DNA, wobei diese, Markierungsmuster an bestimmten Regionen der DNA bilden, die wie ein Schalter Gene an- oder ausschalten.
So verändert Substanzkonsum, z.B. das Rauchen die Gene negativ und erhöht das Risiko für Krebs.
Aber auch externe Reize wie Stress, beispielsweise ein frühkindliches Trauma, kann fürs Leben prägen: „Traumata sorgen nicht nur für Narben in der Seele, sondern auch für Narben im Erbgut“ erklärt der Depressionsforscher Florian Holsboer. Denn es verändert die „Lesbarkeit“ des Erbguts und damit die Aktivität der Gene. Untermauern tut dies ein Experiment mit Rattenjungen, in dem die Auswirkung von mütterlicher Fürsorge auf die Genregulation untersucht wurde. Besagtes Experiment ergab, dass in der frühen Kindheit vernachlässigte Ratten empfindlicher auf Stress reagieren.
Die Studie lässt sich auch auf uns Menschen übertragen: So entwickelt ein Säugling, der zu wenig Liebe und Geborgenheit erfährt, in der Zukunft nicht nur Bindungsangst, sondern wird auch furchtsamer und stressanfälliger.

Durch gesunde Ernährung oder regelmäßige Bewegung sind wir aber auch in der Lage positiven Einfluss auf die Funktionsweise unseres Körpers zu nehmen. So zeigte eine Entdeckung von Wissenschaftlern des Karolinska- Instituts in Stockholm, dass regelmäßiges Fahrradfahren zu einer Veränderung der chemischen Markierungsmuster auf den Erbgutsträngen der vom Fahrrad fahren beanspruchten Muskelzellen führte, wodurch zahlreiche Gene abgelesen und angeschaltet werden, die an der Steuerung der Muskelleistung mit beteiligt sind.

Epigenetisch veränderte Schalterstellungen können vererbt werden
Tatsächlich beeinflussen wir mit unserem Tun und Erleben nicht nur unser eigenes Erbgut, sondern auch das Leben unserer Kinder und Kindeskinder.
Das sogenannten „Fetal Programming“ geht davon aus, dass bereits im Mutterleib eine Programmierung von späteren möglichen Erkrankungen erfolgt. Denn Stresshormone der Mutter, die in belastenden Situationen ausgeschüttet werden, beeinflussen die Entwicklung des Ungeborenen negativ. So ergab eine Untersuchung von Probanden, die sich während der Blitzinvasion der Deutschen in den Niederlanden im Mai 1940 im Mutterleib befanden, ein häufigeres Krankheitsbild von Diabetes, Bluthochdruck, Schizophrenie und Herz- Kreislauferkrankungen.

Einmal schlechte Karten, immer schlechte Karten?
Menschen, die ein schreckliches Erlebnis durchmachen mussten, sollten dennoch nicht zu früh in Panik verfallen. Trotz Vulnerabilität und erhöhter Risiken sind die meisten ungünstige epigenetische Prägung potentiell reversibel. Zu den Schutzfaktoren gehören vor allem eine sichere Bindung: Voraussetzung für ein gestärktes Leben sind Fürsorge, Aufmerksamkeit, Zuwendung, Förderung und Liebe. Auch der Ausgleich von Aktivität und Erholung sind Teil der Kompensation.